229 und 115 Tage deutsches Gefängnis für 2 Atomwaffengegnerinnen aus USA und Niederlande

Susan Crane (80) und Susan van der Hijden (67 Jahre, auf dem Foto links) von den ‚Catholic Worker‘ hinter den Gittern der JVA Rohrbach (Pfalz)

Wegen zivilen Ungehorsams im Atomwaffenstandort Büchel geht zum 18. Mal eine Friedensaktivistin ins Gefängnis. Susan Crane aus Kalifornien (80 Jahre) trat am 4. Juni 2024 für 229 Tage wegen mehrerer Go-In Aktionen ihre Ersatzfreiheitsstrafe an. Damit ist sie die erste Frau aus den USA, die in Deutschland aus Protest gegen die hier stationierten US-amerikanischen Atomwaffen ins Gefängnis geht. Sie wurde zu dieser bisher höchsten Strafe für gewaltfreie Büchel-Aktionen rechtskräftig verurteilt. Tatsächlich hatte das höchste deutsche Gericht es abgelehnt, sich mit Susan Cranes Verfassungsbeschwerde zu beschäftigen.

Der Ladung zum Haftantritt folgte sie im Anschluss an einem sechstägigen Pilgerweg, der symbolisch über 130 km ging und den „Fliegerhorst Büchel“ mit der Justizvollzugsanstalt Rohrbach (Pfalz) verbindet. Auf diesem Weg wurde sie von 30 Friedensaktiven begleitet. Susan Crane versteht diese Haft als eine Mahnwache hinter Gittern. „peace, disarm, B61 nukes = immoral!“ (= „Frieden – Abrüsten – B61 Atombomben = unmoralisch!“) steht auf dem Banner, das sie auf ihrer Friedenswanderung mitführte.

Eine weitere Atomwaffengegnerin trat am selben Tag ihre Ersatzfreiheitsstrafe aufgrund desselben Delikts an. Die Amsterdamerin Susan van der Hijden hatte bereits Ende April ihre Ladung für eine Ersatzfreiheitsstrafe über 115 Tagessätze erhalten und meldete sich heute zusammen mit Susan Crane in der JVA Rohrbach.

Gerade jetzt, während die Gefahr eines Atomkrieges angesichts des Krieges in Ukraine immens gestiegen ist und alle diplomatischen Lösungen immer wieder blockiert werden, ist ein deutliches Zeichen nötig, so Susan Crane. Die ehemalige Lehrerin lebt in einem „Haus der Gastfreundschaft“ der Catholic Worker-Bewegung, die sich seit gut hundert Jahren für benachteiligte Menschen einsetzt.

Hintergrund: Atomwaffen in Deutschland

Die USA lagern Atombomben auf deutschem Boden. Auf dem Atomwaffenstützpunkt „Fliegerhorst Büchel“ in der Eifel sind bis zu 20 Atombomben B61 für die Verwendung durch Bundeswehr-Pilot*innen stationiert. Unter der Schirmherrschaft des 702nd Munitions Support Squadron der US-Luftwaffe und des umstrittenen US/NATO-Programms namens „Nukleare Teilhabe“ werden sie zum Einsatz bereitgehalten.

Jede dieser Bomben hat eine maximale Sprengkraft, die mit der von 13 Hiroshima-Bomben vergleichbar ist. Die Hiroshima-Bombe hat vor 70 Jahren binnen vier Monaten 140.000 Menschen getötet und Unzählige zu langjährigen Leiden verurteilt. Ihre Auswirkungen sind bis heute spürbar.

In Büchel wird die „nukleare Teilhabe“ der NATO praktiziert: Deutsche Piloten trainieren, um US-amerikanische Atombomben im Ernstfall ins Zielgebiet zu fliegen und abzuwerfen. Die NATO-Einsatzdoktrin beinhaltet auch den nuklearen Erstschlag. Im Militärbündnis finden regelmäßig nukleare Manöver wie „Steadfast Noon“ statt.

Diese Atomwaffen sind illegal – siehe dazu unten.

Go-In – Aktionen des Zivilen Ungehorsams

Frau Crane gehört zu den Delegationen von US-FriedensaktivistInnen, die an den vier internationalen Protesten der Jahre 2017, 2018, 2019 und 2021 in den Atomwaffen-Stützpunkt teilgenommen hat. Die DemonstrantInnen dringen seit über 25 Jahren auf das Gelände ein und fordern den Abzug der US-Atombomben, den Stopp der nuklearen Aufrüstung mit neuen B61-12 Atombomben sowie ihres geplanten Ersatzes.

Die Anklage wegen Hausfriedensbruchs geht auf verschiedene Friedensaktionen auf der Büchel Basis zurück: Am Sonntag, den 15. Juli 2018, betraten 18 Personen aus vier Ländern (USA, Deutschland, Niederlande und England) den Atomwaffen-Stützpunkt. Am Hiroshima-Gedenktag (6. August 2018) wiederholte Susan Crane ein weiteres Go-In und saß mit dem Amerikaner John LaForge auf einem der Hangars, in denen die Atombomben eingelagert sein könnten. Im darauffolgendem Jahr gingen Crane und andere Friedensaktivisten erneut auf den Stützpunkt und betonten, dass die US-Atomwaffen auf deutschem Boden illegal sind.

„Als wir in den Stützpunkt eindrangen, erinnerten wir das Militär daran, dass Atomwaffen illegal und unmoralisch sind. Wir forderten sie auf, von ihren Aufträgen zurückzuschrecken oder sich Befehlen zu verweigern, die Atomwaffen an ihre Tornado-Kampfjets anzuhängen oder sie irgendwo abzuwerfen.”

Crane sagt weiter: „Als US-Bürgerin fühle ich mich verantwortlich für die Atomwaffen, die mit meinen Steuergeldern hergestellt werden. Aus Überzeugung und Gewissensgründen habe ich gesagt, dass wir die Atomwaffen hier in den USA abrüsten müssen, und deshalb ist es sinnvoll, sich mit der internationalen Gemeinschaft der Friedensstifter gegen die in Europa stationierten US-Atomwaffen zu verbünden.“

Die Vereinigten Staaten geben jede Minute mehr als 84.094 Dollar für Atomwaffen aus. In der Zwischenzeit sind Millionen von Menschen in den Vereinigten Staaten mit verseuchtem Wasser und unsicheren Lebensmitteln konfrontiert, sind obdachlos und leiden unter unzureichender medizinischer Versorgung. Diese Probleme, mit denen auch die Armen auf der ganzen Welt konfrontiert sind, könnten mit den Ressourcen und dem Geld, das die USA für Kriegsführung und Atomwaffen ausgeben, gelöst werden.

„Mein Glaube lehrt mich, dass jedes Kind heilig ist und dass es keine moralische Rechtfertigung dafür gibt, andere Menschen im Krieg zu töten, ihr Land zu zerstören oder ihr Wasser zu vergiften. Ein Atomkrieg tut all dies“, führt Susan Crane weiter aus.

Susan van der Hijden am Zaun des Atomwaffenstandorts Büchel

Im Mai 2024 auf dem Weg zur Mahnwache hinter Gittern – Pilgerweg vom Atomwaffenstützpunkt Büchel zur JVA Rohrbach

Aktionen der Friedensbewegung – Gefängnis für gewaltfreie Aktionen

Seit Jahren ist der Fliegerhorst Schauplatz von Aktionen der Friedensbewegung , mit denen das Ende der nuklearen Teilhabe in Deutschland und die Unterzeichnung des Atomwaffenverbotsvertrages gefordert werden. Dieser Vertrag sieht vor, dass Entwicklung, Produktion, Test, Erwerb, Lagerung, Transport, Stationierung und Einsatz von Atomwaffen verboten werden.

Die beiden Susans wurden für Go-In Aktionen des Zivilen Ungehorsams (ZU) der Jahre 2018 und 2019 gegen die in Büchel stationierten US-amerikanischen Atomwaffen verurteilt. Susan Crane und anderen gelang es, in den Stützpunkt einzudringen und sogar auf Hangars zu klettern, in denen sowohl die Atomwaffen als auch deutsche Tornado-Kampfjets stationiert sind.

Diese Aktionen fanden im Rahmen der Internationalen Wochen der Gewaltfreien Aktion Atomwaffen Abschaffen (GAAA) und der US-Organisation Nukewatch während der Aktionspräsenz der Kampagne Büchel ist überall! atomwaffenfrei.jetzt statt. Seit 1996 organisiert die GAAA gewaltfreie Aktionen am Fliegerhorst Büchel in der Eifel.

Auch vom Bremer Friedensforum sind immer wieder kleine Delegationen nach Büchel gefahren und haben sich dort an Kungebungen, Demos und Blockade-Aktionen beteiligt. Von Jahr zu Jahr wurde die Repression gegen die Atomwaffengegnerinnen verschärft. Im Camp in Büchel haben die Bremerinnen auch mehrmals die mutigen Frauen der Catholic Workers getroffen, die furchtlos für die Bewahrung der Schöpfung kämpfen. Eine 80jährige Frau für 229 Tage in den Knast zu schicken, ist eine neue Esakalationsstufe. Auch in Büchel soll Kriegstüchtigkeit herrschen.

Illegalität der Atomwaffen: 20 Verfassungsbeschwerden gegen 20 Atombomben

Seit 27 Jahren führen Friedensaktive Prozesse um den Zivilen Ungehorsam aufgrund ihrer Go-In Aktionen, der „Gang durch die gerichtlichen Instanzen“.

Damit soll die völkerrechtswidrige Stationierung durch die Obersten Gerichte rechtlich überprüft und verurteilt werden. Bis zum heutigen Tag wurden 20 Verfassungsbeschwerden eingereicht. Diese Beschwerden wurden allesamt vom Bundesverfassungsgericht NICHT angenommen. Damit schlich sich unser höchstes Gericht aus der Verantwortung, sich mit dem Anliegen der Friedensbewegung zu beschäftigen. Und dieses, obwohl Deutschland laut Atomwaffen-Nichtverbreitungsvertrag verpflichtet ist, Atomwaffen weder mittelbar noch unmittelbar anzunehmen.

Sechs der Beschwerdeführenden, darunter auch Susan Crane, reichten daraufhin Klage beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg ein. Sie beklagen, dass ihnen ihr „Recht auf ein faires Verfahren“ gemäß Art. 6 EGMR versagt wurde, da die Vernehmung von Entlastungszeugen abgelehnt wurde. Die benannten (Völkerrechts-) Experten hätten in den Gerichtsverfahren als Zeugen zugelassen werden müssen. Die durch unsere Regierung praktizierte vertragsbrüchige Atomwaffen-Stationierung bedroht unser aller Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 und 3 EGMR). Seit 2 Jahren wird auch von diesem Gericht eine Reaktion erwartet.

Susan Crane sagt: “Ich dachte, die deutschen Gerichte würden sich die Gründe anhören, warum wir auf dem Stützpunkt gegangen sind, und verstehen, dass unsere gewaltfreien Aktionen als Maßnahmen zur Verbrechensverhütung gerechtfertigt waren. Aber das Völkerrecht wurde nicht respektiert.”

Ariane Dettloff mit Schild „Atomwaffen auf die Anklagebank“ im Jahr 2020 (Foto: Stefanie Intveen)

In den vergangenen 25 Jahren fanden in Deutschland um die 100 Gerichtsverfahren wegen ähnlicher Go-In Proteste auf dem Fliegerhorst Büchel statt. Zum jetzigen Zeitpunkt gibt es von 15 Personen nicht angenommene Verfassungsbeschwerden in Karlsruhe und von zwei Personen eine Klagebeschwerde beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg, die noch anhängig ist.

Ernst-Ludwig Iskenius vom IPPNW fasst zusammen: Bisher reagieren die Gerichte, wie in den über 100 Prozessen davor, mit Ablehnung und der Scheu, sich überhaupt mit der Völkerrechtswidrigkeit der atomaren Teilhabe auseinander zu setzen. Das wollen wir ändern. Angesichts der zunehmenden Gefahr eines 3. Weltkriegs mit möglicher atomarer Anwendung braucht unsere Regierung ein juristisches Korrektiv, um von der drohenden atomaren Aufrüstung abzulassen und sich der zivilgesellschaftlichen Alternative, nämlich dem Atomwaffenverbotsvertrag, anzuschließen.

Lies Welker (eine weitere verurteilte Büchel-Atomwaffengegnerin) sagt in einem Interview vor dem Amtsgericht: „Die Atomwaffen sind ein Tabu-Thema, weil das solche Angst macht. Da ist die Justiz auch nur ein Spiegel der Gesellschaft.

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Demgegenüber geht der Ausbau des Fliegerhorstes Büchel für die anstehende Stationierung der nächsten Atombomben-Generation (Typ B61-12) weiter, die bereits mit weit über einer Milliarde Euro veranschlagt ist. Über 10 Mrd. Euro für US-amerikanische F35-Kampfjets als neue Atombombenträger wurden durch die Ampel-Regierung bereits bewilligt.

Unser Widerstand ist brandaktuell.


Quellen: Texte der Gewaltfreien Aktion Atomwaffen Abschaffen (GAAA), des IPPNW-Blogs und des Bremer Friedensforums – hier mit freundlicher Genehmigung kombiniert

Links:

Was ist Büchel? / Welche Atomwaffen sind dort einsatzbereit? – Gewaltfreie Aktion Atomwaffen Abschaffen (GAAA)

„Büchel ist überall!“ – atomwaffenfrei jetzt

Zahlreiche Informationen und Materialien „gegen Atomwaffen in Büchel und überall“

IN ENGLISH: Interview mit Susan Crane – Video und Text auf englisch

IN ENGLISH: Statement Susan van der Hijden / mit Übersetzung ins Deutsche

Video eines weiteren Prozesses gegen BÜCHEL Atombomben GegnerInnen vor dem Amtsgericht Cochem – „Die Atomwaffen sind ein Tabu-Thema, weil das solche Angst macht. Da ist die Justiz auch nur ein Spiegel der Gesellschaft“

im Interview mit David Hartsough, Popular Resistance
Susan Crane (rechts) in Washington mit den Nonnen Carol und Ardeth im Jahr 2019