von Gaby Weber, September 2023 |
Der Film ist sehenswert, aber er bleibt bei einfachen Weltbildern und dem Gut-und-Böse Schema.
Seit zwei Wochen ist er nun in den Kinos, der 180-minütige Film von Christopher Nolan über den Vater der US-Atombombe: J. Robert Oppenheimer. Er beschreibt die verschiedenen Etappen, wie der Physiker, der in seinen jungen Jahren kommunistische Freunde hatte, für das Pentagon die Massenvernichtungswaffe entwickelte, das sog. Manhattan-Projekt. Unter der Aufsicht von General Leslie Groves J. (Matt Damon) und Lewis Strauss (Robert Downey Jr.), langjähriger Chef der US-Atom-Energie-Kommission AEC, wurde mitten in der Wüste das Forschungslabor Los Alamos errichtet.
Auf der einen Seite wird mit großem Aufwand der berufliche und amouröse Werdegang des berühmten Wissenschaftlers detailliert und spannend beschrieben, wie er sich angesichts der Gefahr, dass die Nazis den Wettlauf um diese kriegsentscheidende Waffe gewinnen würden, klar auf die Seite des US-Militärs schlug, von dem schon damals klar war, dass es nicht wirklich zu den „Guten“ gehörte. Für das Manhattan-Projekt wurden aus aller Welt Wissenschaftler rekrutiert, darunter viele aus Nazi-Deutschland und aus dem faschistischen Italien. Und beeindruckend ist die Darstellung des angeblichen „Erfolgs“: die Detonation und der Abwurf der Atombomben. Sie löst durchaus unterschiedliche Gefühle beim Zuschauer aus, eher nachdenkliche als bewundernde für die technische Leistung. Nein, ohne Zweifel, der Film ist gut, es lohnt sich, ihn anzugucken.
Das Problem ist, dass sich Nolan scheinbar ausschließlich auf die Biografie von Kai Bird und Marin J. Sherwin stützt; und die stammt aus dem Jahr 2005, ist also fast 20 Jahre alt. Mit anderen Worten: Der neue Forschungsstand und in der jüngsten Vergangenheit aufgetauchte Fragen und Widersprüche werden nicht mal am Rande erwähnt. Da fragt man sich, warum bei diesen Multi-Millionen-Projekten Hollywoods nicht mal in die Portokasse gegriffen wurde, um ein paar researcher in die Archive zu schicken? Stattdessen bleibt es dann bei einfachen Weltbildern und dem Gut-und-Böse Schema.
Einige Anmerkungen:
- Peinlich ist, dass die deutschen Untertitel die US-Energie-Kommission durchgehend als „AEK“ bezeichnen.
- Ausführlich werden die technischen und logistischen Hürden bei der Entwicklung des atomaren Sprengstoffs beschrieben. Zwei Glaskugeln auf dem Professorenpult zeigen links das angereicherte Uran und rechts das Plutonium, jeweils mit netten Kügelchen. Doch in den USA wurde praktisch ausschließlich der Weg mit dem angereicherten Uran beschritten; im Deutschen Reich hingegen setzten der Uranverein um Otto Hahn und Werner Heisenberg auf der einen Seite und Hans Kammler für die SS auf der anderen Seite auf Plutonium. Das geht u.a. aus den Patenten hervor. Fakt ist, dass die USA im August 1945 auf Japan zwei Atombomben abwarfen, eine auf der Basis mit angereichertem Uran und die zweite mit Plutonium. Hier sollten zwei unterschiedliche Techniken vor Ort erprobt werden, ob sie den gewünschten (Vernichtungs-) Effekt besaßen. Und, auch das hätte im Film klarer herausgearbeitet werden können, es sollte der Sowjetunion demonstriert werden, dass man nunmehr über eine neue Abschreckungswaffe verfüge, die man einzusetzen gedenke. Woher allerdings die AEC das Plutonium hatte, wird im Film nicht gefragt; der Forschung wird dies bis heute verschwiegen. Gerüchteweise sollen sie es in den letzten Kriegstagen von den Nazis erbeutet haben.
- In dem Film wird dargestellt, als seien Wissenschaftler aus aller Welt zum Manhattan-Projekt gestoßen, als Beitrag im Kampf gegen Nazi-Deutschland. Warum wird verschwiegen, dass Lise Meitner, die mit Hahn und Fritz Straßmann die erste Kernspaltung durchgeführt hatte und vor den Nazis ins schwedische Exil geflüchtet war, auch eingeladen wurde, an dem Projekt mitzuarbeiten. Doch sie weigerte sich, die Entwicklung einer Massenvernichtungswaffe zu unterstützen. Oppenheimer war diese Haltung seiner Kollegin sicher bekannt, er entschied sich für einen anderen Weg? Warum? Hat er sich mit Meitner auseinandergesetzt?
- Nun wäre es interessant und in 180 Minuten machbar gewesen, zu erfahren, wie Oppenheimer auf die Internierung von Hahn, Heisenberg und Co. in englischen Farm Hall reagiert hatte, ob er mit seinen Kollegen in Kontakt gestanden hatte, die nun kräftig dabei waren, sich den Alliierten gegenüber als heimliche Widerstandskämpfer darzustellen. Dazu kein Wort.
- Der Physiker Edward Teller wird als eifersüchtiger Konkurrent dargestellt, der enttäuscht über das mangelnde Interesse Oppenheimers an seiner Wasserstoffbombe war. Als Problem zweier Platzhirsche also. Seine belastende Aussage gegen Oppenheimer bei der Überprüfung seiner Security Clearance wird am Rande erwähnt, aber seine Rolle innerhalb der AEC komplett unterschlagen. Sie wurde in dem Kultfilm „Dr. Seltsam oder wie ich lernte, die Bombe zu lieben“ (1964) zwar nicht wissenschaftlich, aber dafür anschaulich dargestellt. Teller war ein Verrückter, der zu Zeiten des rabiaten Anti-Kommunismus für jede noch so abwegige Idee (Ditchdigger, SDI etc.) Millionen Steuergelder verprassen konnte.
- Und schließlich kommt der Nachfolger von AEC-Chef Lewis Strauss, John McCone, in dem Film überhaupt nicht vor. Diese beiden Personen personifizieren den damals explodierenden Militärisch-Industriellen Komplex, vor dem sogar Dwight Eisenhower warnte, als er aus dem Amt schied. Dieser Komplex war vor allem in Kalifornien angesiedelt und verhinderte sämtliche Abrüstungsbestrebungen.
Dem Film fehlt historische Tiefe. Aber, wie gesagt, es lohnt sich trotzdem, ihn anzuschauen.
Erschien am 1.9.23 im Overton-Magazin. – Wir danken Gaby Weber für die Genehmigung zur Veröffentlichung.